Die größte Herausforderung, der wir uns im 21. Jahrhundert stellen müssen, ist ohne jeden Zweifel die globale Klimakrise. Ihre Auswirkungen spüren wir längst auch in Wien. Ebenso wie sich vor über hundert Jahren die Gründer*innen des Roten Wien überlegten, wie sie das Wien der Zukunft gestalten wollen, gibt es auch heute konkrete Vorstellungen und Visionen, wie wir Wien in den nächsten Jahrzehnten gestalten wollen und wie sich unsere Stadt entwickeln soll: Eine moderne, begrünte Stadt der kurzen Wege, die erfülltes Arbeiten und leistbares Wohnen so verbindet, dass Menschen nicht mehr quer durch die Stadt pendeln müssen. Eine Stadt in der ihre Bewohner*innen umweltfreundlich mit den Öffis, dem Rad, zu Fuß oder e-mobil unterwegs sind. Eine Stadt mit intakter Umwelt und sauberer Luft, in der Transitverkehr ein Fremdwort ist, weil dieser längst an den Toren der Stadt vorbeigelotst wird. Eine Stadt die trotz starkem Bevölkerungswachstums ihren hohen Grünanteil von 50 Prozent am Stadtgebiet gehalten und die knappe Ressource Boden geschont hat.
Geringster Bodenverbrauch österreichweit trotz Bevölkerungswachstum
Wien ist schon heute auf dem besten Weg in diese Zukunft. Trotz starkem Bevölkerungswachstums – ein Plus von rund einer viertel Million innerhalb der letzten zehn Jahre – hat Wien in Österreich in Bezug auf Bodenschutz eine absolute Vorreiterrolle. Der Bodenverbrauch pro Kopf ist in den vergangenen 15 Jahren um rund 18 Prozent gesunken, obwohl Wien im gleichen Zeitraum 40 Prozent des gesamtösterreichischen Bevölkerungszuwachses gestemmt hat.
Nachnutzung von Brachflächen statt Grünlandversiegelung
Eine der wichtigsten Gründe für diese erfreuliche Entwicklung ist, dass die Stadterweiterung für die wachsende Bevölkerung nicht einfach nur auf der „grünen Wiese“ erfolgt. Vielmehr werden in Wien vor allem bereits versiegelte Bestandsflächen, so genannte „Brown Fields“, neu genützt: Seien es Industriebrachen wie alte Fabriken oder auch Bahnhofsareale – wie etwa Nordbahnhof und Nordwestbahnhof, das Sonnwendviertel neben dem Hauptbahnhof oder auch das Stadtentwicklungsgebiet Eurogate. Mit der Nachnutzung dieser Areale geht Wien einen Weg entgegen der allgemeinen, bundesweiten Entwicklung. Das gilt auch für die Seestadt Aspern, sie war bis in die 70er Jahre ein Flugplatz und ist heute eines der modernsten Stadtentwicklungsgebiete Europas.
Fokus der letzten 20 Jahre auf dem Ausbau und Attraktivierung der Öffis
In den letzten 20 Jahren wurde in Wien der Fokus auf den Ausbau und die Attraktiverung der Öffentlichen Verkehrsmittel gesetzt. Die dritte Ausbaustufe der Wiener U-Bahn erfolgte von 2000 bis 2010 mit der Verlängerung der U1 von Kagran bis Leopoldau und der U2 vom Schottenring bis zum Stadion sowie der Weiterführung der U2 vom Stadion bis zur Aspernstraße. Die vierte Ausbaustufe von 2010 bis 2023 umfasste die Verlängerung der U1 von der Station Reumannplatz bis nach Oberlaa und die Weiterführung der U2 von Aspernstraße bis Seestadt. Die Verlängerung der U2 Richtung Norden ist Voraussetzung für die Stadtentwicklung im Nordosten Wiens. Das Wiener U-Bahn-Netz wird derzeit durch den Bau der neuen Linie U5 und die Verlängerung der Linie U2 um insgesamt 9 Kilometer und 11 Stationen erweitert. Investitionsvolumen U-Bahn der 3. und 4. Ausbauphase exkl. Linienkreuz U2xU5 1. Baustufe (d.h.: U1 Leopoldau, U2 Stadion bzw. Aspernstraße und weiters U2 Seestadt, U1 Oberlaa): 3,4 Milliarden EUR. Investitionsvolumen U-Bahn Ausbau Linienkreuz U2xU5 (1. Baustufe (4. Ausbauphase) + 2. Baustufe (5. Ausbauphase)): rd. 6 Milliarden EUR (vorausvalorisiert)
Im Straßenbahnnetz der Stadt Wien erfolgte in den letzten Jahren die Verlängerung der Linie D zum Hauptbahnhof, der Streckenneubau der Linie 25 im Bereich Kagran, die Verlängerung der Linie 26 zur U-Bahn-Station Hausfeldstraße, die Neuorganisation der Linien 6, 11 und 71 in Favoriten und Simmering, die Erschließung des Sonnwendviertels mit der Linie D und die Erschließung des Nordbahnviertels mit der Linie O. Investitionsvolumen in Straßenbahnen von 2010 bis 2025 (inkl. 25er Tokiostraße, neue 26er Strecke, O Nordbahnhof, D Sonnwendviertel, Reorganisation Linien 6, 7, 11 und geplante Linie 27): rd. 235 Millionen EUR
Mit derzeit 28 Linien bildet die Straßenbahn auch heute, gemeinsam mit der U-Bahn, das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs in Wien. Allein 2021 investieren die Wiener Linien 503 Millionen Euro in die Öffis – so viel wie noch nie.
Investitionen in einen modernen Öffi-Fuhrpark, stetiger Ausbau des Streckennetzes eine Jahreskarte für 365€ tragen zu einem Modal Split in Wien bei, der in Europa im absoluten Spitzenfeld liegt.
Ohne Stadtstraße keine Seestadt Nord
Aktuell werden in der Seestadt Aspern die vorerst letzten Wohnprojekte fertiggestellt – denn für den Weiterbau, für die Seestadt Nord, braucht es neben einem attraktiven Öffi Angebot auch eine Straßenanbindung. Laut der für die Seestadt Nord durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist Stadtstraße und die S1-Spange im UVP-Genehmigungsbescheid als Auflage vorgeschrieben.
Zitat aus UVP: „Die Errichtung von Gebäuden … darf erst ab dem Zeitpunkt der Verkehrsfreigabe der Anschlussstelle zum nördlich der Seestadt Aspern gelegenen Straßennetz (S1 Spange Seestadt Aspern und Stadtstraße Aspern) erfolgen.“
Die Stadt Wien hat den Hauptfocus der Stadterweiterung für 2020-2030 auf den Nordosten der Stadt gelegt. Deswegen wurde zuerst mit dem U-Bahn Ausbau begonnen, noch bevor Menschen dort hingezogen sind. Entlang der U-Bahn-Trasse werden noch mehrere Stadtentwicklungsgebiete entstehen. Und für diese braucht es neben der hochwertigen Öffi-Anbindung (U2, Straßenbahnen, S-Bahn, Busse) – wie in der Umweltverträglichkeitsprüfung festgeschrieben – auch die Straßenanbindung.
Die nur 3,2 km lange Stadtstraße entsteht in der Donaustadt und verbindet die Seestadt Aspern mit der Südosttangente. Sie ist rund zur Hälfte untertunnelt, die restliche Strecke ist 2-3 Meter tiefer gelegt und hat Lärmschutzwände. Es gilt überall Tempo 50, denn die Stadtstraße ist keine Autobahn, sondern eine ganz normale Gemeindestraße. Sie bündelt den Verkehr und entlastet die Wohngebiete in der Donaustadt.
Verkehrsentlastung für die Wohngebiete der Donaustadt
Nicht nur für die weitere Stadtentwicklung in den Stadtentwicklungsgebieten im Nord-Osten Wiens ist die Stadtstraße notwendig, sondern auch für eine Verkehrsentlastung in den Wohngebieten und historischen Ortskernen der Donaustadt unerlässlich. Die Bewohner*innen warten seit Jahren darauf. Der Verkehr wird gebündelt, Durchfahrten und Schleichwege werden zeitnah zum Bau der Stadtstraße geschlossen. Durch den Bau der Stadtstraße fahren dann künftig pro Tag in Hirschstetten bis zu 6.000, in Aspern sogar 8.000 Autos weniger durch die Wohngebiete. Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht der ExpertInnengruppe zur „Wiener Außenring Schnellstraße (Schwechat-Süßenbrunn) S1-Donauquerung“ aus dem Jahr 2017, die von der damaligen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou in Auftrag gegeben wurde.
Leistbares Wohnen in Wien
In der Seestadt und vielen anderen Stadtentwicklungsgebieten Wiens ist Wohnen leistbar dank gefördertem Wohnbau. Er erhöht das Wohnungsangebot und senkt dadurch die Preise am Immobilienmarkt. Die Stadtstraße ermöglicht den Bau von Wohnungen für 60.000 Menschen, der Großteil davon im leistbaren, geförderten Wohnbau. Diese Wohnungen würden fehlen, falls die Stadtstraße nicht gebaut wird. Dadurch würde Wohnraum in Wien knapper werden, bei gleichzeitig steigendem Bedarf. Das lässt die Preise fürs Wohnen in Wien massiv steigen und würde Menschen dazu bringen, außerhalb der Stadt Wohnraum zu suchen.
Kompakte Stadtentwicklung statt Zersiedelung
Angesichts dessen müsste die Siedlungsentwicklung zerstreut – in andere Stadtteile oder ins Umland – ausweichen, was bei niedrigeren Bebauungsdichten mit erheblich größerem Flächenbedarf, einem Verlust an Freiraum und einem höheren Straßenverkehrsaufkommen in und um Wien verbunden wäre. Die Zielsetzungen des STEP 2025, Wien mit einer kompakten, am öffentlichen Verkehr und an Zentren orientierten, geordneten Siedlungsstruktur zu entwickeln, könnten dann nicht erreicht werden. Schon bei einer Verlagerung von 15.000 Wohnungen von Wien nach NÖ würde zu den angegebenen Flächen- und Infrastrukturfolgewirkungen auch ein höherer CO2 Ausstoß kommen: bei einem durchschnittlichen Versorgungsmix (Raumwärme) in NÖ gegenüber der Fernwärme in Wien würde die jährliche CO2 Belastung um rund 33.500 Tonnen erhöht werden. Schon 15.000 Wohnungen die in Wien anstatt in NÖ errichtet werden kompensieren die gesamten Mehremissionen der S1.
Aus den genannten Punkten ist ersichtlich, dass die künftige Wohnungsentwicklung in Wien ein wesentlicher Beitrag zum Klima- und Bodenschutz für die gesamte Metropolregion darstellt. Die gesamte bisherige Stadtentwicklung und der Ausbau der ÖV-Infrastruktur (U2, S-Bahn, Straßenbahn) war bereits in den letzten 15 Jahren darauf ausgerichtet, dies zu ermöglichen. Dies gilt auch im Besonderen für die Schaffung von Arbeitsplätzen nördlich der Donau.
Stadtstraße als Motor für neue Arbeitsplätze
Wirtschaftsentwicklung in einem großen Stadtteil, der straßenseitig nicht angeschlossen ist, wird extrem schwierig zu realisieren sein. Die laut Wirtschaftsagentur Wien allein in der Seestadt geplanten 15.000 Arbeitsplätze würden dazu beitragen, dass viel weniger Menschen aus der Donaustadt quer durch Wien oder darüber hinaus in das südliche Wiener Umland pendeln müssen.
Minus 77.000 Fahrzeuge auf der Tangente
Die A23 dient künftig dem Wiener Binnenverkehr: Mit Fertigstellung der Nordostumfahrung, der für 1. März 2022 fixierten Einführung des flächendeckenden Parkpickerls und dem weiteren intensiven Öffi-Ausbau werden längerfristig pro Tag 77.000 Fahrzeuge weniger über die Tangente fahren als ansonsten im Jahr 2030 zu erwarten wäre. Wien ist eine der wenigen Großstädte, der eine lückenlose Umfahrungsmöglichkeit für den Transitverkehr fehlt. Der gesamte Transitverkehr fährt deshalb quer durch die Stadt. Der sogenannte Regionenring um Wien ist nicht geschlossen, es fehlt das entscheidende Stück der Nordostumfahrung.
Schutz des Nationalparks durch Untertunnelung in 60 Meter Tiefe
Wien schützt die Lobau. Sie weist einen vielfachen Schutzstatus aus, der gerade für den Wiener Bereich besonders hoch ist und die sensiblen Lebensräume besonders beachtet.
Auf Wiener Landesgebiet ist die Lobau: Europaschutzgebiet (natura 2000), Nationalpark und Grundwasserschutzgebiet. Alle diese Schutzkategorien stellen sicher, dass keine wesentlichen Eingriffe in dieses sensible Gebiet erfolgen können.
Beim Bau der Nordostumfahrung finden selbstverständlich im Nationalpark keine Eingriffe statt, es gibt weder Lüftungsschächte noch Notausstiege innerhalb des Nationalparks. Der Tunnel berührt den Nationalpark nicht, er beginnt und endet weit außerhalb und liegt 60 Meter unter der Erde. Grundwasserströme werden nicht gestört, Flora und Fauna im Nationalpark bleiben geschützt.
Daher fordern wir:
Der Nationalpark Donauauen, seine Flora und Fauna, muss auch weiterhin bestens geschützt bleiben.